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Aktuelles:

Seit heute (Ostersonntag 2016) habe ich die drei Fugen auch als Youtube-Video hochgeladen:

https://youtu.be/NS2OkuL3xyA

Dort kann man auch die neuerdings dazukomponierten Präludien hören und besichtigen. 

Im folgenden Text werden die Präludien noch nicht berücksichtigt: zum einen, weil es die bei der Abfassung des Textes noch gar nicht gab, zum anderen, weil die Fugen die Hauptsache sind.

 

Drei Fugen in altem Stil

Die beiden "historischen" Photos stammen aus den 1970er Jahren. Als Musikstudent wurde ich gelegentlich engagiert, um als Cembalist eines kleinen Barockensembles mit passender Perücke und Verkleidung ebensolche Begleitmusik auf festlichen Soireen zu spielen. Diese Abende vermittelten betuchten Leuten in einem Schloss(hotel) als sog. "frederizianische" Festmahle einen Eindruck vom Essen, Trinken und Treiben auf Sanssouci zur Zeit des alten Fritz. Mit meinen ca. 20 Jahre später komponierten Fugen haben die Photos nichts zu tun. Aber wo, wenn nicht hier, wäre für sie der ideale Platz ?

Die "Drei Fugen" für Klavier, Cembalo oder Streichquartett habe ich 1998 geschrieben.
Der kürzlich ergänzte Titelzusatz "in altem Stil" weicht nicht ohne Grund von der geläufigeren Formel "im alten Stil" ab: Das Bestreben, in EINEM irgendwie historisierenden Stil etwas zuwege zu bringen, schien mir weniger anmaßend als der Anspruch, in genau DEM Idiom einer eng eingrenzbaren Teilepoche etwa innerhalb des "Perückenjahrhunderts" musikalisch parlieren zu können. Zudem wäre die dritte Fuge, ohne darum den anderen an Komplexität nachzustehen, mit ihrer leicht melancholischen Anmutung stilistisch ohnehin eher im 19. als im 18.  Jahrhundert zu verorten.  
Mir ist dieser Hinweis wichtig, weil ich glaube, daß besonders bei Nr. 1 und Nr. 2 die barocken Melodiewendungen des Fugenthemas so unüberhörbar Bachsches "Kolorit" haben, daß ich leicht in Verdacht geraten könnte. Dabei denke ich weniger an einen Plagiatsvorwurf : Denn daß die Themen,
obwohl sie sämtlich von mir sind, im Falle der ersten und der zweiten Fuge an  Bach oder Händel* erinnern, liegt ja in meiner Absicht. Problematischer ist da schon das Anmaßende meines Ehrgeizes - und den hatte ich! - mich einmal (bzw. dreimal) ausgerechnet in der Kunst zu versuchen, die in der Musik Bachs, des Meistbewunderten, das vielleicht Allermeistbewunderte ist: Die polyphone Verdichtung, das  intuitive Aufspüren von Möglichkeiten, sog. Engführungen zu schreiben.
Was das ist ? Ich erkläre es, der Blasphemie längst überführt, an einem eigenen Beispiel aus der Fuge Nr. 2 in g-moll.  Hören Sie zunächst das Thema :

 

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Uli Schauerte Fuge g-moll Thema
Uli SCHAUERTE Fuge 2 g-moll Thema.mp3
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Uli Schauerte Fuge g-moll Thema
Uli Schauerte Fuge g-moll Thema

 

Nachdem es jede der vier Stimmen durchwandert hat, geht es ständig so zu wie in der folgenden Stelle :

 

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Uli SCHAUERTE Fuge g-moll, Ausschnitt Takt 13-25
Engführung - Umkehrung - Augmentation
Uli SCHAUERTE Fuge 2 g-moll Engführungen
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Uli Schauerte Fuge g-moll  : Engführung, Umkehrung, Augmentaion.
Uli Schauerte Fuge g-moll : Engführung, Umkehrung, Augmentaion.

(Die kompletten Noten und Tonaufnahmen finden Sie unten auf dieser Seite.)

 

... soll heißen: Die Themeneinsätze überstürzen sich, keine Stimme wartet, bis die andere "fertig ist". Und das ist eigentlich schon die Definition der Engführung.  Die Kunst und das Besondere dabei ist, daß die Zusammenklänge, die in einem solchen Gedrängel entstehen, sich mit den Regeln der traditionellen Harmonielehre und des Kontrapunkts vertragen müssen.

Ich muß – einmal Lehrer, immer Lehrer! – auf zwei weitere Besonderheiten dieser Engführung hinweisen:

Von den 12 Themeneinsätzen im Beispiel haben die sieben blau markierten (1, 2, 3, 4, 9, 11 und 12) die Originalgestalt des Themas: erst "rauf", dann "runter" etc. Die anderen, also die rot markierten (5, 6, 7, 8 und 10) sind "Umkehrungen",  das bedeutet: das Thema wird gespiegelt: aus "rauf" wird "runter"  und umgekehrt,

Die zweite Besonderheit ist die "Augmentation" (auch "rhythmische Vergrößerung").

Das will sagen: Die Dauer des Themas (in meinem Beispiel zwei Takte) wird in die Länge gezogen; in diesem Fall wird sie z.B. verdoppelt. Darum erstrecken sich die Einsätze Nr. 8 und 10 jeweils auf vier Takte, während gleichzeitig die anderen zehn Einsätze im "Originaltempo" ablaufen. (Auch das Gegenteil, die "Diminution" oder "rhythmische Verkleinerung" läßt sich bei mir besichtigen: In Takt 37ff. der ersten Fuge läuft das Thema auf drei Zeitebenen gleichzeitig ab: normal, augmentiert und diminuiert).

Bachs Genie, das irgendwie nicht von dieser Welt gewesen sein kann, bestand, glaube ich, unter anderem darin, intuitiv wie kein Schachweltmeister im Voraus zu wissen, was mit welchem Thema möglich ist, und diese Fähigkeit anscheinend immer abrufen zu können.

Er hat sie hunderte Male bewiesen und sich nie einen Kopf machen müssen, ob sich am Ende nicht doch vielleicht irgendwo ein Fehlerchen könnte eingeschlichen haben.

Wie wichtig es ist, als Voraussetzung ein geeignetes Thema zu finden oder zu erfinden (beides trifft den Sachverhalt) zeigt Bachs "Musikalisches Opfer".

Mit dem Thema, wohl aus der Feder des gruseligen Preußenkönigs Friedrich Zwo (und m.E. leicht manieriert) hat Bach Großes vollbracht, aber Engführungen waren anscheinend nicht zu meistern, und dabei sind Werke wie das "Wohltemperierte Klavier" oder "Die Kunst der Fuge" doch schließlich voll davon: Ich bin sicher, Bach hätte niemals darauf verzichtet, wenn es mit der königlichen Melodie so funktionieren würde wie mit seinen eigenen Themen, und das, obwohl dasjenige des alten Fritz selbst mit einer dieser typisch Bachschen Wendungen  beginnt, von denen ich eingangs sprach.

Wer je etwas nach dem Vorbild der besonders komplexen Stücke aus der "Kunst der Fuge" versucht hat, für den bekommt das Wort "Engführung" einen ganz neuen Sinn: Nicht nur das Fugenthema, sondern der Komponist wird "in die Enge geführt", in ein Dilemma, das mich ein bißchen an Rubik's Cube erinnert.

Aber zurück auf den Teppich: ich spreche von Bach!... und nicht von einem Uli Schauerte, der ein paar kleinere Fugen, zudem mit eher kurzen Themen, gemacht hat und davon ausgehen kann, daß zwar alles "in einem alten Stil" geschrieben ist und passabel klingt, aber der Teufel steckt im Détail, und womöglich wäre die Freude am eigenen Gelingen leicht getrübt, wenn ich selbst oder ein anderer einmal akribisch nach übersehenen kontrapunktischen Bagatelldelikten fahnden wollte, die sich in besonders verzwickten "Engeführungen" unmöglich umgehen oder vermeiden lassen. Daß sich selbst in Bachs Riesenwerk vereinzelt solche milden Verstöße und Grenzfälle finden, ist keine "Entschuldigung". Credo in unum Bach.  

 

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Uli SCHAUERTE Drei Fugen in altem Stil (1998)
Fassung für Cembalo oder Klavier
3 Fugen Klavierfassung in einem Dokument
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Uli SCHAUERTE Drei Fugen in altem Stil (1998) Nr.1 d-moll
Cembalo
Uli SCHAUERTE Fuge 1 d-moll Cembalo.mp3
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Uli SCHAUERTE Drei Fugen in altem Stil (1998) Nr.2 g-moll
Cembalo
Uli SCHAUERTE Fuge 2 g-moll Cembalo.mp3
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Uli SCHAUERTE Drei Fugen in altem Stil (1998) Nr.3 c-moll
Cembalo
Uli SCHAUERTE Fuge 3 c-moll Cembalo.mp3
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Uli SCHAUERTE Drei Fugen in altem Stil (Streichquartett, Partitur)
Partitur der Streichquartettversion
Uli SCHAUERTE 3 Fugen in altem Stil Stre
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Uli SCHAUERTE Drei Fugen in altem Stil (1998) Nr.1 d-moll
Streichquartett: Solo Strings der Vienna Symphonic Library (Special edition)
01 Uli SCHAUERTE 3 Fugen in altem Stil f
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Uli SCHAUERTE Drei Fugen in altem Stil (1998) Nr. 2 g-moll
Streichquartett: Solo Strings der Vienna Symphonic Library (Special edition)
02 Uli SCHAUERTE 3 Fugen in altem Stil f
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Uli SCHAUERTE Drei Fugen in altem Stil (1998) Nr. 3 c-moll
Streichquartett: Solo Strings der Vienna Symphonic Library (Special edition)
03 Uli SCHAUERTE 3 Fugen in altem Stil f
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* vgl. etwa den Chor "And with his stripes" aus dem Messias. Näheres zur "Stereotypie der melodischen Erfindung in Moll zur Bach-Zeit" findet sich in: Diether de la Motte: Harmonielehre, in meiner Ausgabe (dtv/Bärenreiter ISBN 9 783423 04 1836) auf Seite 78 f.